„Da ist zunächst der Bericht des Landrats von Gelnhausen vom Ende des Jahres 1947, der auf Aufforderung des Hessischen Innenministers Nachforschungen über Opfer des oben vorgestellten Todesmarsches anzustellen und diese dem Innenministerium zu melden hatte. In seinem Bericht kommt Landrat Kreß zu dem Ergebnis, dass diese Nachforschungen trotz intensiver Bemühungen ‚erfolglos‘ verlaufen sind. Das heißt, die Mitarbeiter des Landratsamtes konnten im gesamten Landkreis Gelnhausen keinen Toten entdecken, der diesem Todesmarsch zuzuordnen wäre. Nach Aussagen eines deutschen Teilnehmers des Todesmarsches (Gottlieb Sturm) wurden bei Gelnhausen jedoch jüdische KZ-Häftlinge erschossen: ‚Hinter Gelnhausen wurden weitere Erschießungen vorgenommen. Ich sah dort, daß man die Juden in unserem Zuge, es waren 24 Mann, auf die Wiese trieb und dann abschoß. Nur einer davon hat Buchenwald lebend erreicht‘. Meine These lautet: Mit dem überlegten und koordinierten Verschweigen der Spuren und der Opfer des Todesmarsches im Landkreis Gelnhausen soll eine mögliche Folgeuntersuchung vermieden werden. Diese hätte wahrscheinlich nicht nur den sozialen Frieden in Frage gestellt, sondern auch in den Augen der Akteure auf dem Landratsamt dem Ruf der Kreisstadt geschadet.“ (Coy, Ein Bericht aus dem Jahr 1947)
„Am 11. September 1963 wurden bei Bauarbeiten an der damaligen Bundesstraße 40 (der vormaligen Reichsstraße mit gleicher Ordnungsnummer) östlich von Wirtheim (heute zu Biebergemünd) Teile eines menschlichen Skeletts entdeckt, dazu Reste von Kleidung und Schuhen sowie einige Habseligkeiten: ein Messer, ein Kochgeschirr, ein Kettchen mit Marien-Anhänger. Sofort aufgekommenen Spekulationen, der Tote sei ein Soldat der Waffen-SS gewesen, der in den letzten Kriegstagen von einem deutschen Standgericht hingerichtet worden sei, konnte die ermittelnde Kriminalpolizei Hanau rasch eine gänzlich andere Gewissheit entgegensetzen. Schon am nächsten Tag war der frühere Totengräber von Wirtheim ausfindig gemacht, der den Toten in der Karwoche des Jahres 1945 hastig neben der Straße verscharrt hatte, und wurde als Zeuge befragt. Seine detaillierte Aussage ließ nur einen Schluss zu: Der unbekannte Mann war ein KZ-Häftling aus den Adlerwerken gewesen und durch einen Genickschuss ermordet worden, als die Kolonne des Todesmarsches durch Wirtheimer Gemeindegebiet gezogen war.“ (Hartmann, Ein unbekannter Toter in Grab 259?)
„Am 18. September 1963 wurden bei Wirtheim erneut Gebeine am Straßenrand entdeckt, dieses Mal westlich des Ortes auf dem nach Gelnhausen-Höchst hin gelegenen Streckenabschnitt. Ein Mann aus Höchst erinnerte sich, dass er am Montag der Karwoche von 1945 (dem 26. März in jenem Jahr) an der Stelle der neu aufgefundenen Gebeine einen Toten, gekleidet in eine gestreifte Jacke, im Graben der Reichsstraße hatte liegen sehen, der durch einen Genickschuss getötet worden war. In geringer Entfernung habe zudem ein weiterer Toter neben der Straße auf einem Acker gelegen. Einige Tage später seien die beiden Toten dann von deutschen Soldaten jeweils an Ort und Stelle ‚eingegraben‘ worden. Dass zwei Leichen neben der Straße gelegen hatten und an den Stellen verscharrt worden waren, die der Mann aus Höchst bezeichnet hatte, bestätigte noch am selben Tag ein weiterer, in Wirtheim lebender Zeuge. Die Indizien legten als wahrscheinlichsten Schluss nahe, dass auch diese beiden Toten KZ-Häftlinge in den Adlerwerken gewesen und auf dem Marsch nach Hünfeld von ihren Bewachern ermordet worden waren.“ (Hartmann, Ein unbekannter Toter in Grab 259?)
„In den beiden Gemeinden Wirtheim und Ahl wurde das Thema relativ rasch offiziell verschwiegen, so in Wirtheim, wo im Dezember 1947 der Bürgermeister auf die Frage nach Todesmärschen antwortet, dass es keine durch den Ort gegeben habe, und die Bearbeitung der Fragen vor seiner Unterschrift auf dem Formular damit beendete, dass er nach bestem Wissen und Gewissen geantwortet habe. Ebenso in Ahl, wo der Bürgermeister die offensichtlich Anfang der 1950er-Jahre einsetzende Umdeutung der im Gemeinschaftsgrab am Waldrand bestatteten Opfer des Todesmarsches zu Deutschen durch seinen Bericht im Jahr 1961 beförderte.“ (Coy, Ein beinahe vergessenes Verbrechen)
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Beispieldokumente der verschiedenen Befragungen durch den ITS, die 1947 von den Landratsämtern durchgeführt wurden und von den Bürgermeistern zu beantworten waren.
„Aber aus beiden Dörfern liegen Dokumente vor, die das ursprüngliche Wissen, dass es sich bei den gefundenen Leichen um Opfer des Todesmarsches durch das Kinzigtal handelte, belegen. Dies Wissen wird von den jeweiligen Bürgermeistern 1945 bezeugt. Und außer den Bürgermeistern wussten das die Männer, die die Leichen bestatteten, die Dorfbewohner auf deren Grundstücken die Leichen gefunden wurden und natürlich die Menschen, die als erste die Leichen entdeckten. Der Kreis der Wissenden wird mit Sicherheit noch deutlich größer gewesen sein, denn ein solch schwieriger Fund unmittelbar vor Ankunft der amerikanischen Besatzer / Befreier ließ sich in der kleinen dörflichen Gemeinschaft nicht verheimlichen.“ (Coy, Ein beinahe vergessenes Verbrechen)